Schwierigkeiten bei der notärztlichen Bestimmung des Gestationsalters: Fallserie
DOI:
https://doi.org/10.31247/agnj.v2iS1.46Abstract
Einleitung: Neugeborenen-Erstversorgungen stellen herausfordernde Einsätze im Notarztdienst dar. Eine der ersten zu beantwortenden Fragestellungen am Einsatzort ist jene nach dem Gestationsalter, welche die notärztlichen Entscheidungen über zu treffende Maßnahmen maßgeblich beeinflussen kann, insbesondere bei Frühgeborenen an der Grenze der Lebensfähigkeit. Gemäß steiermärkischer Empfehlung ist die präklinische Erstversorgung Frühgeborener bei zweifelsfreiem Gestationsalter ab 24+0 Schwangerschaftswochen (SSW) indiziert.[1]
Fallserie: 2014–2023 wurde die Klinische Abteilung für Neonatologie Graz in vier Fälle involviert, bei welchen es durch Notärzt*innen vor Ort primär zur inkorrekten Berechnung oder Fehleinschätzung des Gestationsalters an der Grenze der Lebensfähigkeit gekommen war.
In vier Fällen wurde das Gestationsalter der Frühgeborenen mit >24+0 SSW geschätzt/berechnet und konsekutiv mit (erfolglosen) kardiopulmonalen Reanimationsversuchen begonnen, obwohl das tatsächliche Gestationsalter deutlich unter dieser Grenze lag.
Beim vierten Fall handelte es sich um ein Frühgeborenes in der 27. SSW mit 950g. Aufgrund eines Fehleintrages im Mutter-Kind-Pass und Verständigungsschwierigkeiten mit den Eltern (Sprachbarriere) wurde das Gestationsalter deutlich niedriger bestimmt (<24SSW). Infolgedessen wurde das Frühgeborene mittels Comfort-Care versorgt und verstarb noch am Einsatzort.
Diskussion/Schlussfolgerung: Die Fallserie zeigt, dass Schwierigkeiten bei der notärztlichen Bestimmung des Gestationsalters auftreten können, die Auswirkungen auf die Therapieentscheidung haben. Ungeplante Geburten sind häufig von schwierigen sozialen Umständen begleitet. Lückenhafte Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen, Sprachbarriere oder negierte Schwangerschaft erschweren die Bestimmung des Gestationsalters weiter.
Bei Überschätzung des Gestationsalters können Reanimationsmaßnahmen mit Bindung von Ressourcen und Vermittlung von Hoffnung durchgeführt werden, obwohl das Frühgeborene nicht lebensfähig ist. Bei Unterschätzung des Gestationsalters können indizierte Reanimationsversuche gegebenenfalls vorenthalten werden.
Für die korrekte Bestimmung des Gestationsalters sollten Informationen von Mutter-Kind-Pass und Eltern eingeholt und abgeglichen, für die Berechnung des Gestationsalters Hilfen wie digitale Gestationsalter-Rechner (z.B. AGN-Notfallfibel) verwendet und die Plausibilität mittels Geburtsgewichtsschätzung (Waage, Vergleich zu Infusionslösung [z.B. Elomel ~550g]) geprüft werden. Bei nicht zweifelsfrei bestimmbarem Gestationsalter sollte eine Erstversorgung im Sinne von Provisional-Care erfolgen.[1]
References
Schwaberger B., et al. Regionale Handlungsempfehlungen zur notärztlichen Versorgung Frühgeborener nach präklinischer Geburt für die Steiermark. Der Notarzt, 2019. 35: p. 314–322. https://doi.org/10.1055/a-0903-2357.